Die Welt schaut auf Amerika, Europa auch auf Deutschland – Einwurf von EUD-Generalsekretär Christian Moos

Einiges spricht dafür, dass der 5. November als der Tag in die Geschichte eingehen wird, an dem die liberale Weltordnung endete. Die USA waren ebenso wenig wie andere Demokratien dieser Erde perfekt. Aber die Ideen, die von der „Stadt auf einem Hügel“ ausgingen, waren stark. Nicht nur die schiere Machtprojektion der USA, auch die Attraktivität des amerikanischen Freiheitsideals ermöglichte nach 1945 die Durchsetzung der liberalen Demokratie in der freien Welt. Die deutsch-französische Versöhnung, die westeuropäische Einigung und schließlich die Wiedervereinigung Europas wären ohne dieses Amerika nicht möglich gewesen.

Nun ist der 47. US-Präsident identisch mit dem 45., Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus steht bevor. Die Welt schaut auf die USA und die Europäische Union wird nicht in einer abwartenden Stellung verharren können. Sie muss in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik dringend handlungsfähig werden, Europa mit einer Stimme sprechen. Nationale Vetos passen nicht mehr in die Zeit. Gleichzeitig müssen alle EU-Staaten, die zugleich Mitglieder der NATO sind, ihre Bündnispflichten erfüllen. Was Trump drohend vorträgt, wurde von Biden und vormals Obama freundlich formuliert. In der Substanz ist es aber gleich. Der amerikanische Wunsch nach Entlastung durch mehr europäische Eigenverantwortung ist nicht nur nachvollziehbar, sondern berechtigt.

Besonders Deutschland muss sich hier als größte europäische Volkswirtschaft angesprochen fühlen. Denn es hat seine Verteidigungsfähigkeit über Jahrzehnte vernachlässigt und sich somit voll auf den amerikanischen Schutzschirm verlassen. Dass Deutschland ausgerechnet in diesem Winter und Frühjahr keine voll legitimierte Regierung haben wird, ist gefährlich für Europa – und besonders für die Ukraine. Denn russische und inzwischen wohl auch nordkoreanische Truppen drohen die ukrainischen Verteidigungslinien zu überrennen, wenn die amerikanische und die europäische, vor allem die deutsche Hilfe mit Militärgütern ausbleibt. Europa braucht in dieser Zeit eigentlich ein entscheidungswilliges Deutschland mit klarem Kompass, das seiner Verantwortung nicht nur für das europäische Einigungswerk, sondern auch für die europäische Sicherheitsordnung gerecht wird.

Kritisch für die liberale Demokratie in Europa ist allerdings auch, dass die europäischen Populisten mit dem Wahlsieg Trumps potenziell Auftrieb erhalten. Längst schrumpfen die Räume für die demokratische Zivilgesellschaft auch in EU-Staaten, die lange als gefestigte westliche Demokratien galten, so auch in Deutschland, vor allem in seinem Osten, wo Rechtsextreme die öffentlichen Räume beherrschen. Diejenigen, die die europäischen Werte verteidigen wollen, stehen gegen die Lockrufe der Autokraten. Sie müssen jetzt zusammenhalten, mehr denn je zusammenarbeiten und Flagge zeigen. Die Stadt auf dem Hügel kann auch ein zweites Mal Trump überleben, die europäische Vereinigung in dieser Zeit der globalen Erschütterungen, angetrieben von weitsichtiger Politik und mutigem bürgerschaftlichem Engagement neuen Höhepunkten entgegenstreben.
 

Christian Moos, Generalsekretär der Europa-Union Deutschland e.V.